Junge Welt
vom 15.10.2003 99
Prozent gegen Freihandelsabkommen
Demonstrative Volksbefragung in
Chiapas am »Dia de la Raza«: Soziale Organisationen machten mobil von: Luz Kerkeling, San Cristóbal de Las Casas In Lateinamerika erinnert der 12.
Oktober an die erste Landnahme von Christoph Kolumbus, die 1492 Ausbeutung
und Genozid durch die europäischen Kolonialisten einleitete. In Mexiko wird
der Tag offiziell »Día de la Raza« („Tag der Rasse“, im Mexikanischen
allerdings nicht völkisch zu verstehen, sondern im Sinne von raíz =
Wurzel – Anmerkung der homepage-Redaktion) genannt. Im südmexikanischen
Bundesstaat Chiapas nahmen verschiedene soziale Organisationen den Tag zum
Anlaß, um die Ergebnisse ihrer Basisbefragung über neoliberale Projekte der
Regierung von Präsident Vicente Fox vorzustellen. Demnach sprachen sich je über
99 Prozent der Befragten gegen die Fortführung des Nordamerikanischen
Freihandelsabkommens NAFTA zwischen USA, Kanada und Mexiko und gegen die
Durchführung des so genannten Modernisierungsprojektes »Plan Puebla-Panamá«
aus. Auch die für 2005 unter Federführung der USA angestrebte
gesamtamerikanische Freihandelszone (ALCA), der Kernpunkt der Umfrage, stieß
mit 99,3 Prozent auf nahezu einhellige Ablehnung. Das NAFTA-Abkommen hat nach
Ansicht der Organisationen seit seiner Implementierung Anfang 1994
hinreichend belegt, daß der US-dominierte »Freihandel« zur Verschärfung der
sozialen Gegensätze, zur weiteren Zurückdrängung demokratischer Mechanismen,
zur Zunahme der Privatisierung und zur Zerstörung ländlicher Lebens- und
Wirtschaftsformen geführt hat. Neun Jahre NAFTA bedeuten für die Mehrheit der
Bevölkerung eine Verschlechterung. Zunehmend werden auch Sektoren wie
Bildung, Gesundheit, Energie und Wasser zum Ziel der neoliberalen
Privatisierungspolitik. Die sozialen Organisationen
wählten bewußt das Mittel der »consulta«. Solche Befragungen waren in den
vergangenen Jahren von der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) mehrfach zur
Mobilisierung genutzt worden. Die Absicht ist vor allem, den Menschen, die
von aufgezwungenen Regierungsplänen betroffen sind, die Möglichkeit zur
Information und Artikulation zu geben und Prozesse der Selbstorganisation
voranzutreiben. In Anbetracht der Tatsache, daß
die jüngste Befragung von Basis- und Nichtregierungsorganisationen
durchgeführt wurde, die sich im »chiapanekischen Treffen gegen
Neoliberalismus« zusammengeschlossen haben, sind die Ergebnisse beachtlich:
In 49 der über 110 Landkreise von Chiapas wurden über 100.000 Personen
befragt. Dem politischen Charakter gemäß fand im Kontext der Präsentation
eine Demonstration in San Cristóbal de Las Casas statt, die von einer
Billiglohnfabrik ins Zentrum der kolonialen Kleinstadt zog. In diesen
»Maquiladora«-Fabriken, die für den Weltmarkt produzieren und dabei mit
Einverständnis der Regierungen Umwelt-, Arbeits- und Menschenrechte
mißachten, arbeiten überwiegend junge Frauen, darunter viele, die mangels
Perspektive aus ländlichen Regionen weggehen mußten. Die Rednerinnen und Redner, die in weiten Teilen zur »Zivilgesellschaft im Widerstand« gehören und die politischen Forderungen der EZLN vertraten, übten scharfe Kritik an den Regierungen auf bundesstaatlicher und nationaler Ebene. Fast zehn Jahre nach dem historischen Aufstand der EZLN-Guerilla am 1. Januar 1994 forderten die Demonstranten eine völlige Abkehr von der neoliberalen Politik, die Mensch und Natur ausbeutet. -> Startseite Gruppe
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